Sonntag, 19. Juli 2015

Die Limburger Schlittschuhkriege


Gunnar Z. ist ein international anerkannter Eventmanager, Messebauer, Planer und Designer, der die bewundernswerte Fähigkeit hat, sich für ein Projekt zu begeistern, alle Kreativität hinein zu kanalisieren und gleichzeitig das gesamte Umfeld zu berücksichtigen. Er erarbeitet unermüdlich integrative Konzeptionen aller Art für die Lahnstadt, in der er seit Jahrzehnten arbeitet und lebt.
Für den kommunalen Politiker Werner L. jedoch ist Gunnar Z. nichts weiter als „irgendein Dahergelaufener“, der den Limburgern erklären will, wie es geht.
Was sich nach der Vorstellung des Weihnachtsmarktkonzepts von Gunnar Z. am vergangenen Mittwoch im Ausschuss für Stadtentwicklung usw. abspielte, markierte einen neuen Tiefpunkt in der Geschichte der an Lowlights wahrlich nicht armen Kommunalpolitik.
Ein Mann, der der Einladung gefolgt war und im Ausschuss seine Vorstellungen eindrucksvoll bebildert präsentierte, wurde in Anwesenheit seines Teams, seiner Frau und seiner kleinen Tochter auf eine niederträchtige Art und Weise angepöbelt – und weder der Ausschussvorsitzende noch irgend ein anderer der Anwesenden sah sich genötigt, auf die Hasstiraden auch nur ein Wort zu erwidern oder den fremdenfeindlichen Ausfällen irgendwas entgegenzusetzen.
Es hat sich in vielen Jahren gezeigt, in denen die lokale Politik mit Mandatsträgern dieser Art und Gesinnung garniert ist, dass sie für alles, was hinter ihrem eigenen Horizonts liegt, nur aggressive Abwehr oder abgrundtiefe Verachtung übrig haben. Also praktisch für die gesamte Welt jenseits ihres eng am Haus stehenden, eigenen Gartenzauns.
Wir wissen alles, wir können alles, wir haben alles – und was wir nicht wissen, können oder haben, das ist es nicht wert, es auch nur zu beachten oder ein Wort darüber zu verlieren.
Muss man sich über Politikverdrossenheit jüngerer Generationen wundern, wenn Protagonisten dieser jungsteinzeitlichen Geisteshaltung und mit einem solchen, menschenverachtenden Auftreten Mandatsträger sein dürfen?
Dabei ging es an diesem Tag nicht um die Rettung des Abendlandes, des christkatholischen.
Nur die mögliche Einrichtung einer Eislaufbahn im Rahmen des Limburger Weihnachtsmarkts war das zentrale Thema einer Ausschusssitzung.
Es wurde eine lange, emotionale, chaotische und am Ende praktisch ergebnislose Veranstaltung.
Und es war eine erschütternd dilettantisch vorbereitete.
Zwei Monate hatte der Magistrat nach dem Beschluss der Stadtverordnetenversammlung Zeit gehabt, ein Konzept zu entwickeln und vorzustellen. Zwischendrin hatte es eine weitere Ausschusssitzung und eine Parlamentstagung gegeben, auf der man Zwischenberichte hätte vorstellen, Unklarheiten beseitigen und Fragen vertiefen können.
Nichts davon war geschehen.
Nun legte der Magistrat ein Papier vor, mit dem er lediglich konstatierte, dass er seinen Auftrag nicht erfüllt hatte, weil angeblich zu wenig Zeit gewesen sei. Der Tenor des Berichts war ein pauschales und unbegründetes „geht nicht“. Jedenfalls nicht auf öffentlichem Grund. Von Feuerwehrrettungswegen bis Baustatik waren alle Ausreden vertreten – doch auf konkrete Nachfrage wusste niemand auf Seiten des Magistrats darzulegen, worauf diese Informationen basierten.
Anwesend waren drei Anbieter, die sich auf die „Ausschreibung“ gemeldet hatten, hieß es zu Beginn. Doch auch schon das entsprach nicht unbedingt den Tatsachen. Zwei der Interessenten hatten bereits vor Jahren Konzepte eingereicht, die nie in Erwägung gezogen wurden und einer war explizit im Auftrag seines Herrn unterwegs, des EMI (einzig möglicher Investor), in dessen Ex-Posthof er die Eislauffläche errichten soll.
Alle drei Anbieter erhielten eine Einladung zur Sitzung.
Fünf Tage vor dem Termin. Übers Wochenende.
Nachdem das Platzproblem im Zuschauerbereich gelöst war (ca 70 Interessierte wollten sich das Theater mal ansehen…), begann die Veranstaltung mit allgemeiner Ratlosigkeit.
Die Vertreterin der Antragsteller bemängelte, dass der Magistrat mit dem Papier gar nichts geliefert habe und dieser schwieg dazu einfach in Person des Ersten Stadtrats.
Man war zusammengekommen, um etwas zu beschließen – aber nun gab es einfach nichts.
Außerdem machte sich wenigstens Irritation darüber breit, dass KEIN EINZIGES Ausschussmitglied irgend ein Stück Papier zu den eingereichten Angeboten erhalten hatte. Auch die Hoffnung, dass man ihnen via Präsentation an der Leinwand etwas zeigen würde, war in zwei von drei Fällen vergebens.
Eine ganz eigene Vorstellung lieferte nach den Anbietern die Gruppe der Weihnachtsmarktakteure, die ein Duo nebst Powerpoint geschickt hatte. Der Sprecher der Vereinigung setzte von vorn herein den Ton. Was in der Grabenstraße das substanzfreie Drohungsphantom „Drosselgasse“ gewesen war, wurde in Bezug auf die umfassende Neukonzeption der Märkte nun der „Ballermann“ als universelles Totschlagargument. Aggressiv und kämpferisch warf der Sprecher Gunnar Z. vor, er wolle aus dem beschaulichen Weihnachtsmarkt einen Ableger des berüchtigten Teutonenparadieses machen und er wolle den Schaustellern den Weihnachtsmarkt wegnehmen, um seinen eigenen daraus zu machen. „Feindliche Übernahme“ war der Kampfbegriff, der ins Feld geführt wurde indes fanden sich unter den Ausschussmitgliedern die üblichen Verdächtigen, die unreflektiert zustimmten.
Die gesamte Vorstellung der aktuellen Betreiber war für Außenstehende wenigstens absonderlich, denn sie zeigte ein tiefgreifendes und tiefsitzendes Struktur- und Selbstverständnisproblem. Die Weihnachtsmarktbeschicker betrachten sich verblüffenderweise als quasi-karitative Organisation, die den Limburgern Wunderbares in der Adventszeit beschert. Unglaublich war, dass im Zusammenhang mit dieser rein der Erzielung größtmöglicher Gewinne gewidmeten Veranstaltung der Begriff „ehrenamtlich“ fiel. Alles, was sie rund um die Hüttenbewirtschaftung tun, betrachten die Schausteller als Dienst am Menschen – und nicht als Rahmenprogramm, um mehr Geld zu verdienen.
Ihre Präsentation versuchte darzulegen, dass der Weihnachtsmarkt in Limburg perfekt, ideal, klein und fein ist und dass er keinerlei Neuerungen braucht. Als Beleg für die Attraktivität wurde die Zahl der Busse angeführt, die im vergangenen Jahr kamen. Doch auf die gesamte Laufzeit umgelegt, ergibt sich dabei ein Durchschnitt von nicht einmal sieben Reisegruppen pro Tag, die zum Weihnachtsmarkt nach Limburg kommen. Zwischen 10 und 21 Uhr.
Seitens der Veranstalter wurde kurzerhand geleugnet, dass immer mehr Besucher sich über den Markt enttäuscht äußern, weil sie einfach mehr erwartet hätten.
Für Zuhörer nur sehr schwer nachvollziehbar ist die Haltung der Marktbeschicker. Auf der einen Seite jammern sie über Kosten und darüber, wie wenig sie verdienen. Auf der anderen Seite ist jede Veränderung Teufelswerk und jeder, der eine solche anregt, automatisch der Feind.
Die Idealvorstellung eines Weihnachtsmarktes wäre offenbar ein fröhliches Glühweintrinken unter Freunden bei gleichzeitigem Geldscheffeln. Dass dies nicht vereinbar ist und dass auswärtige Besucher erforderlich sind, um den Gewinn zu sichern und zu erhöhen und solche, angesichts der regionalen Konkurrenz, nur durch echte Attraktionen angelockt werden können, findet im Weltbild der familiär eng verflochtenen Gemeinschaft keinen Platz.
Das einzige, was ein Umdenken bewirken könnte, ist eine reale Bedrohung – und die gibt es nun, wie an diesem denkwürdigen Abend klar wurde.
Für alle überraschend verkündeten die Schausteller nämlich, dass sie bereits selbst initiativ geworden waren und angefangen hatte, Angebote einzuholen, eine Eislaufbahn auf dem Neumarkt einzurichten, gerne auch mit dem von Gunnar Z. ins Spiel gebrachten reinen Kunststoffbelag ohne Energie- und Folgekosten.
Was hatte diese Umdenken über Nacht gefördert?
Ganz sicher nicht Gespräche mit Anbietern. Die hatte die Stadt nicht vermittelt oder moderiert.
Ganz sicher nicht Diskussionen und Abstimmungen mit anliegenden Geschäftsinhabern oder dem Cityring. Solche hatte die Stadt weder vermittelt noch initiiert.
Den Schaustellern war nur offenbar schlagartig klar geworden, dass über ihrem Paradies am Neumarkt ein Damoklesschwert hängt, dessen Faden kurz vor dem Zerreißen ist.
Der vom EMI gesandte Handwerksunternehmer erklärte, dass er auch in großen Städten wie Köln Weihnachtsmärkte mit Eisbahn errichtet und betreibt. Er erklärte, dass er für den EMI die weihnachtliche Gestaltung seines zentrumsfernen Einkaufsparadieses übertragen bekommen hat. Und er erklärte, dass im Alten Posthof eine Eislaufbahn gebaut werden soll, falls keine an einem anderen Ort errichtet wird. Diese Posthofbahn natürlich mit ein, zwei Hütten für die kulinarische Versorgung versehen werden.
Wie schnell aus ein, zwei Hütten dreißig werden, weiß jeder Schausteller…
Doch auch gegen eine Eislaufbahn auf dem Neumarkt hätte der EMI nichts. Die Bedingung sei aber, den Neumarkt durch eine Ausweitung des Weihnachtsmarkts über obere Bahnhofstraße und Bahnhofsvorplatz an die WERKStadt anzuschließen.
Dass eine solche Verbindung auch wieder eine Verdoppelung der Hütten und damit der Konkurrenz darstellen wird, wurde von keiner Seite thematisiert.
Wie ernst der Beauftragte des EMI seine Mission nahm, zeigte sich daran, dass er es darüber hinaus nicht versäumen wollte, die Anwesenden und die Politiker an seinem Wissen teilhaben zu lassen, dass jede Panik vor einem FOC oder zentrumsfernen Mall unnötig sein. Denn diese würden Menschen in die Stadt bringen und alle würden davon profitieren, belehrte er. Alle.
Die betroffenen Händler mit massiven Umsatzeinbußen dürfen es mit Verwunderung vernommen haben.
Die Botschaft von hinter dem Bahnhof ist eindeutig. Der EMI will das Publikum des Weihnachtsmarkts anziehen, um jeden Preis. Falls dies nicht durch eine Anbindung geschieht, wird er die Besucher durch eine eigene Veranstaltung kurzerhand abziehen.
Den Schaustellern auf dem Neumarkt bleibt daher aktuell nur, in den sauren Apfel zu beißen und mit spitzen Fingern das Monster „Veränderung“ anzufassen.
Was am Ende blieb, war kein neuer Beschluss des Ausschusses, sondern im Grunde nur die Wiederholung des Auftrags an Magistrat und Stadtverwaltung, eine KONZEPTION vorzulegen.
Diesmal konkretisiert um die Errichtung einer Kunststoffeislaufbahn auf dem Neumarkt mit der Maßgabe, dass der Stadt dabei keine Kosten entstehen, also der Betrieb extern finanziert wird. Außerdem wurde der Magistrat aufgefordert, alle Beteiligten an einen Tisch zu bringen, für einen Informationsaustausch zu sorgen und auf einen Konsens hinzuwirken.
Die Stadt hat nun zwei Monate Zeit, ein solches Konzept vorzulegen.
Die Stadt hatte schon einmal zwei Monate Zeit und alles unternommen, die Verwirklichung einer Eislaufbahn 2015 zu verhindern.
Was hatte dieses Umdenken angestoßen?
Zwischenzeitlich haben aber offenbar die Schausteller die Zeichen der Zeit erkannt. Zumindest sind sie Willens, etwas zu tun, wenn sie die Gefahr auch auf einer völlig falschen Seite sehen. Sie zittern davor, dass der verhasste Fremdling ihnen ihren... sagen wir einmal: extrem traditionsorientierten Weihnachtsmarkt wegnehmen könnte. Deshalb planen die Weihnachtsmarktbeschicker nun konkret, bereit im Winter 2015 auf dem Neumarkt eine Eislaufbahn mit Kunststofffläche zu errichten.
Warten wir es ab...