Sonntag, 28. Juni 2015

Ein Kampf um Limburg - Die Bürgermeisterwahl im Rückblick



Der neue Bürgermeister von Limburg wird Marius Hahn heißen. Nach einem Wahlkampf, der einige Überraschungen bot, haben sich die Bürger für einen Wechsel in den Machtverhältnissen entschieden.
Es scheint an der Zeit, die vergangenen Monate noch einmal etwas genauer zu betrachten.

Michael Stanke
Fassungslos stand, wenn man Berichten in der NNP Glauben schenken darf, der CDU-Kandidat am Sonntag, den 14. Juni, gegen 19:30 Uhr vor dem Ergebnis der Wahl.
Nicht weniger fassungslos macht den Beobachter seine erste Analyse. Wiederum eine wahrheitsgemäße Berichterstattung vorausgesetzt, die man bei dem komplizierten Innenverhältnis Was-Stanke-sagt-und-was-die-NNP-schreibt ja nicht so ohne weiteres annehmen darf, äußerte sich der Unterlegene so: "Vielleicht haben wir die Erfolge unserer Politik nicht offensiv genug vertreten."
Dies zeigt für mich nur eins: Michael Stanke versteht es einfach nicht.
Er hat es schon während seiner gesamten Wahlkampagne nicht verstanden, doch jetzt, im Augenblick der Niederlage klammert er sich immer noch an seine völlig verfehlte Strategie und sieht die Ursache seines kläglichen Scheiterns darin, dass er sie nicht NOCH sturer verfolgt hat.
Als Amtsinhaber, der sich zu einer Wiederwahl stellt, hat man es generell einfacher, denn man kann auf erbrachte Leistungen verweisen und versprechen, diese fortzuführen. Problematisch wird es, wenn man nicht Verantwortlicher ist und in seinem nachgeordneten Amt keine maßgebliche Gestaltungshoheit hatte. Dann Vergangenes zu thematisieren, das ein anderer erreicht hat, während die eigene Leistung war, daneben zu stehen und zuzuschauen, wirkt nicht sehr überzeugend.
Ganz kritisch wird es jedoch, wenn es nichts gibt, was man sich anstecken könnte. Die Klientelpolitik des NBM auf dem Rücken der Bürger, die Alimentation Einzelner und Subvention von Multimillionären, während gleichzeitig stadteigene Bauten und Infrastruktur verrotten, angebliche Haushaltskonsolidierung bei paralleler Verschwendung von Unsummen für dysfunktionale oder nie verwirklichte Irrsinnsprojekte und Gutachten, ist nichts, mit dem man einen Wahlkampf gewinnen kann.
In einem solchen Fall muss sich ein Bewerber von seinem Vorgänger entschieden absetzen und abheben. Doch dazu braucht man etwas, das im Stanke Lager ganz offensichtlich eine ganz große Unbekannte war: Ein Programm.
Bis auf eine immer wiederkehrende Aufzählung von Aufgaben, die ein Bürgermeister nun einmal Kraft Jobbeschreibung zu erledigen hat, kam von Seiten Stankes nichts. Absolut nichts.
Er präsentierte sich den gesamten Wahlkampf über als jemand, der niemals die Initiative ergreift, sondern ausschließlich zu reagieren in der Lage ist. Passivität war die Botschaft und die spiegelte sich in jeder einzelnen Aktion. Bei keiner einzigen seiner Veranstaltungen präsentierte Stanke auch nur den Embryo einer eigenen Idee, sondern er „besuchte“ immer nur andere und ließ sich zeigen oder erklären, was diese taten. In keiner Phase überraschte er seinen Gegner mit Projekten, Ideen oder Aktionen, sondern er lief ihm stets hinterher.
Verblüffend war es zu beobachten, wie Michael Stanke den Spuren des Mitbewerbers folgte und über den Greifenberg wanderte, nachdem Hahn mit Bürgern die Grünanlagen angesehen und Ideen für eine bessere Gestaltung gesammelt hatte. Eine Woche nach der Hahn-Mannschaft hatte sein Team Wahlkampf-Polos und kurze Zeit, nachdem der Mitbewerber Hausbesuche in Ortsteilen begonnen hatte, klingelte auch Michael Stanke an Türen. In einer abenteuerlichen Dreistigkeit wurden ganze Passagen aus den Hahnkonzepten für Bürgerthemen übernommen und bereicherten die anfangs dürren Zeilen „programmatischer“ Natur auf der HP des CDU-Kandidaten. Grotesk war, dass er oder seine Helfer dabei die implizite Kritik an den aktuellen Zuständen und Versäumnissen der Vergangenheit gleich mit übernahmen – einer Vergangenheit die Stanke doch als seine große Leistung herausstellen wollte.
In den öffentlichen Auftritten gab sich Stanke jovial, umgänglich, freundlich – und immer wieder so unbedarft, dass es an politischen Selbstmord auf offener Bühne grenzte. Einen Bewerber um das Amt des Bürgermeisters, der als seine größte Schwäche sein Phlegma nennt, sieht man wirklich selten. Zu den vertrauensbildenden Maßnahmen gehörte sicher auch nicht, dass er wiederholt erklärte, man müsse viele Sachen einfach mal liegen lassen, dann würden sie sich oft von selbst erledigen.
Nichtstun, abwarten und zuschauen, was andere so leisten – all das als Qualitäten für ein Amt zu präsentieren, das einen energischen, zielstrebigen und zupackenden Menschen fordert, war sicher keine Taktik, die einen Wähler überzeugen konnte, dem CDU-Kandidaten die Führung einer Stadt wie Limburg zu- und anzuvertrauen.
Nun steht Michael Stanke vor den Trümmern seiner Karriereplanung, die ihn nach seinen eigenen Vorstellungen irgendwie zwangsläufig und folgerichtig auf den Sessel des Bürgermeisters bringen sollte, ohne dass von ihm dazu irgendeine besondere Leistung gefordert würde.
Er kann sich das Ergebnis vom Sonntag absolut nicht erklären. Dabei versteht er jedoch etwas ganz Wesentliches nicht.
Michael Stanke hat die Bürgermeisterwahl nicht verloren.
Marius Hahn hat sie gewonnen.

Marius Hahn
Was er nun zu dem unerwarteten Ergebnis sage, wollte der am Ende nur noch mäßig verkappte Wahlkämpfer in Journalistentarnung wissen. Bis zur letzten Sekunde hatte er noch alles versucht, dem Gegner die größte Publizität zu verschaffen und ihm zu jedem Thema von Marius Hahn das Wort zu erteilen. Wenige Minuten nach der Schließung der Wahllokale verbreitete der Mann dann schon Ergebnisse angeblicher repräsentativer Umfragen, die einen knappen Sieg des Anderen voraussagten – und nun dies.
Mit einem sehr gequälten Lächeln musste der subversive Publizist nun dem Mann, den er als Wahlverlierer ausgemacht hatte, zum Sieg gratulieren, und er stellte seine Frage.
Unerwartet sei das Ergebnis überhaupt nicht, reagierte Marius Hahn schlagfertig.
Er sei von seinem Wahlsieg ausgegangen.
Es war die richtige Antwort auf die letzte Spitze des Gegenübers. Doch ein Blick in das Gesicht des Kandidaten verriet dem, der die Zeichen zu erkennen vermag, viel mehr. Die Freude und Begeisterung, die sich erst im Lauf des Abends ihren Weg bahnen sollten, waren noch nicht angekommen. Dort im großen Sitzungssaal, kurz nach der Bekanntgabe des Endergebnisses, sah man in den Augen von Marius Hahn einen Moment lang nur eine Mischung aus tiefer Erschöpfung, Erleichterung und Dankbarkeit.
Was ein knappes halbes Jahr vorher praktisch niemand für möglich gehalten hatte, war passiert. Die dem Anschein nach für alle Ewigkeit festbetonierte CDU-Festung Limburg war gefallen und über dem Rathaus wehte die Flagge mit dem Roten Hahn.
Nach der Nominierung durch eine Wählergemeinschaft im Januar hatte die Presse seine Kandidatur gemeldet. Danach verschwand Marius Hahn vollkommen aus der publizierten Öffentlichkeit. Während sein Gegner mit Amtsbonus und der Unterstützung des gesamten Rathauses einen Termin nach dem anderen kreiert bekam und wahrnahm, der ihn in Wort und Bild in die Zeitungen und das Bewusstsein der Bevölkerung brachte, war Marius Hahn diese Möglichkeit verwehrt. In einer mehr als bemerkenswerten Allianz des Schweigens ignorierten die eine Bezahl- und die zwei kostenlosen Zeitungen den zweiten Bewerber um das Amt des Bürgermeisters praktisch vollständig. Ganz gleich, was er und sein Team veranstalteten, es fand maximal in einer Zweizeiler-Ankündigung seinen Niederschlag, als Bericht praktisch nie.
Nach dem zweiten Kandidaten um das Amt des Bürgermeisters befragt, konnten die meisten Wähler nur Antworten dieser Art geben: „Ja, klar, der Dingsda, na… na der… wie heißt er noch?“.
Marius Hahn kämpfte verzweifelt mit öffentlichen Auftritten dagegen an, nahm an jedem organisierten Frühjahrsputz im Stadtgebiet teil und zeigte sich in Warnweste und mit breitem Lächeln bei der Arbeit, doch der Erfolg war gering. Er erntete in der Öffentlichkeit dafür kaum mehr als ein Schulterklopfen derer, die sowieso zu seinen Unterstützern zählten. Die Gegner hatten maximal das verächtliche Achselzucken der sicheren Sieger.
Das Rennen war im Bewusstsein der Öffentlichkeit entschieden, bevor es überhaupt begonnen hatte.
Doch dann geschah etwas, das für mich in der rückblickenden Analyse den Wendepunkt darstellte. Marius Hahn zeigte zwei Charaktereigenschaften, die für die darauf folgenden Monate jeden seiner Schritte prägen sollten. Kampfbereitschaft und Lernvermögen. Der Wille, sich einzugestehen, dass man bei einer Sache nicht weiterkommt und sich kompetente Hilfe zu holen, ist bekanntlich KEINE Limburger Kardinaltugend. "Intelligent sind wir selber“ ist die Grundhaltung in der Lahnstadt, die so viele Chancen in der Vergangenheit und Gegenwart verspielt hat.
Marius Hahn tat etwas, das gemeinhin als nichtlimburgische Handlung gilt: Er holte sich Hilfe.
Es war dem Kandidaten Hahn offenbar bewusst geworden, was für eine Aufgabe er da optimistisch in Angriff genommen hatte. Er wollte eine CDU-Hochburg gegen ein gesamtes Rathaus und gegen eine vereinigte Presse erobern. Ein unmöglicher Auftrag. Doch er fand einen Parteigenossen, dem genau das gelungen war.
Marius Hahn lud den Mann ein, der zwei Jahre zuvor sensationell die Wahl zum Oberbürgermeisters von Wiesbaden gewonnen hatte. Sven Gerich folgte dem Hilferuf, kam zu einer Podiumsdiskussion – und nach diesem Abend schaute Marius Hahn nicht ein einziges Mal mehr zurück.
Was folgte, war eine Kampagne, wie es sie in dieser Perfektion und Intensität wahrscheinlich für eine Stadt dieser Größe in der Geschichte Deutschlands noch nie gegeben hat.
Bei aller Wertschätzung des Engagements, des Einsatzes und des guten Willens der Wählerinitiative Marius Hahn, ich halte es für ausgeschlossen, dass sie für die Systematik, die Publikationen und vor allem die Dramaturgie des nach dem Gerich-Auftritt folgenden Wahlkampfes alleine verantwortlich ist. Praktisch alles, was danach geschah, trägt für mich die Handschrift eines PR-Profis und ich muss gestehen, dass ich denjenigen beneide, der dahintersteckt. Insbesondere das Timing und die Fähigkeiten, so viele verschiedene Einzelprojekte parallel zu führen und jedes von ihnen zur maximal Wirkung zu bringen, rufen bei mir Hochachtung hervor.
Müsste ich diesen Mann oder diese Frau suchen, ich würde als erstes im Umfeld von Sven Gerich nach ihm/ihr fahnden. Denn die Parallelen zu dessen Wahlkampf sind unverkennbar, obwohl dieser natürlich mit einem ganz anderen personellen und vor allem finanziellen Aufgebot geführt wurde.
Es waren zwei elementare Ratschläge, die der OB von Wiesbaden Marius Hahn öffentlich mit auf den Weg mitgab.
Erstens: In die Häuser zu gehen, mit den Mensch direkt zu sprechen, sich ihre Sorgen und Nöte anzuhören, davon so viel wie möglich mitzunehmen UND parallel dazu schon Antworten zu suchen und Lösungen zu entwickeln.
Noch wichtiger war wohl Ratschlag Nummer zwei: Schau nie, nie, nie, was der Gegner macht.
Marius Hahn folgte diesen beiden Generalklauseln. Mit Beginn seines Urlaubs startete er eine tägliche Tournee durch alle Stadtteile und klingelte an Hunderten von Türen.
Hahn ergriff voll und ganz die Initiative. Er setzte und besetzte die Themen des Wahlkampfs, konkretisierte Vorstellungen, kanalisierte sie in Projekte und von da an blieb dem Mitbewerber nur noch, staunend zuzuschauen und zu reagieren. Es waren ausschließlich Marius Hahn und sein Team, die bis zum letzten Sonntag vorgaben, wo es im Wahlkampf entlang ging.
Bei seinen Veranstaltungen holte Hahn nicht den Cousin des Schwagers oder den Parteigenossen Vereinsvorsitzenden an seine Seite, sondern hochkarätige Fachleute, die seinen Ideen Gewicht verliehen.
Marius Hahn überrumpelte alle mit seiner Vorstellung eines Kongresszentrums und griff sich damit kurzerhand das Thema Wirtschaftsstandort Limburg und Förderung desselben. Seine Konzeption eines Bürgerbüros degradierte den Versuch des NBM, dem unliebsamen Bewerber sein Steckenpferd wegzunehmen, zu einem hilflosen Dilettieren mit einem Legobaukasten. Die Hahn-Vision eines Hochschulstandorts Limburg fand Wiederhall nicht nur in der überregionalen Presse, sondern ging sogar bis in den Landtag und ist nun Gegenstand eines Antrags von SPD und FDP. Visionen eines Neumarkts als Zentrum des lokalen Lebens faszinierten Geschäftsleute wie Bürger gleichermaßen.
Mit jedem großen Auftritt wurde Marius Hahn sicherer und mit jedem Beitrag konnte er die große Botschaft, die er auf seine künstlerisch überragend gestalteten Überraschungsplakate der zweiten Welle geschrieben hatte, besser vermitteln: Limburg den Bürgern zurückgeben.
Parallel zu den Veranstaltungen besuchte er weiter Wähler. Auf die häufig gestellte Frage, warum man von seinen Vorstellungen, Projekten und Konzepten nie irgendwas in der Zeitung gelesen hätte, antwortete er immer nüchtern: „Da müssen Sie die Zeitung selbst fragen“. Die Redaktionen hatten zumindest von seinem Team alle Informationen erhalten.
Diese wiederkehrenden Aussagen und die beharrliche Arbeit, die die Unterstützer persönlich, im Internet und bei den immer besser besuchten Info-Ständen in der Fußgängerzone leisteten, zeigten nach und nach Ergebnisse. Unter den Wählern machte sich ein immer größerer Unmut über die einseitige und tendenziöse Berichterstattung bei gleichzeitigem Boykott von Hahn breit. Im Leserbriefbereich der NNP tobte eine kleine Schlacht zwischen den Anhängern beider Lager, doch bei den Limburgern hatte das Ansehen der lokalen Zeitungen längst zu einem halsbrecherischen Sturzflug angesetzt.
Trotz dieser offenen Parteinahme tat sich Erstaunliches und für die Presse Beunruhigendes. Marius Hahn verwandelte sich in der öffentlichen Wahrnehmung vom „Wer-war-das-noch“ nicht nur zu einem ernsthaften Kandidaten. Es ging noch einen großen Schritt weiter. Nichts war mehr davon zu hören, die Wahl sei längst zugunsten des Mitbewerbers entschieden. Inzwischen war nur noch die Rede davon, dass der Ausgang der Wahl völlig offen sei.
„Jetzt glaubt sogar meine Mutter, dass es was werden kann“, konnte Marius Hahn mit einem Lächeln vermelden.
Es nahte das große Finale und damit die Zeit, in der sich traditionell die Nassauische Neue Presse offiziell einmischt, um dann mit dem NNP-Forum beim abschließenden Schaulaufen der Kandidaten das letzte Wort zu behalten.
Die Redaktionsleitung kündigte das Verfahren an. Vier Berichte für jeden Kandidaten zu Veranstaltungen, die er selbst auswählen durfte, eine Home-Story sowie ein Fragebogen an beide würde es geben. Dazu das Forum und den zugehörigen Bericht, mehr nicht. Ganz wichtig war, dass eine Woche vor der Wahl der Leserbriefbereich zu diesem Thema geschlossen würde.
Die NNP selbst berichtete in dieser Ankündigung von einem offenen Rennen. Den letzten 14 Tagen würde also einige Bedeutung zukommen – und dem Verhalten der Nassauischen Neuen Presse.
Hatten viele Unterstützer nun erwartet, dass die NNP hemmungslos zugunsten des Gegners berichten würde, wurden sie überrascht. Zwar war die Home-Story des Kandidaten Hahn uninspiriert und das Foto unvorteilhaft und die Berichte zu den Veranstaltungen vermieden jede Erwähnung der extrem positiven Resonanz unter den Besuchern. Aber darüber hinaus blieb die erwartete Parteinahme aus.
Einer der Höhepunkte der Wahlkampagne von Marius Hahn war dann der Auftritt beim NNP Forum. Bestens vorbereitet, durch nichts zu überraschen, jederzeit souverän und bei jeder Antwort konkret, war er nach Ansicht vieler neutraler Beobachter der klare Sieger des Abends.
Die Stimmung nach dem NNP-Forum hatte weite Teile der Stadt erfasst und sie war gekippt. An vielen Orten war nicht länger von einem Gleichstand die Rede. Für eine große Zahl an Menschen lag Marius Hahn in Führung.
Am Tag nach dem NNP-Forum wagte ich etwas. Ich schrieb auf eine Karte meine Wahlprognose, steckte sie in einen Umschlag, den ich verschloss und schrieb darauf: Nicht vor Sonntag 20:00 öffnen.
Meine Zahlen waren zu diesem Zeitpunkt: Michael Stanke: 43,8 %, Marius Hahn 56,2%.
Bis zum Mittwoch war für Marius Hahn alles perfekt gelaufen.
Dann kam der Morgen des 11. Juni und die potentielle Katastrophe.
Auf meine Frage hin, was für ihn der schlimmste Moment des ganzen Wahlkampfs gewesen sei, antwortete Marius Hahn, das sei der Augenblick gewesen, an dem er von den mit Aufklebern verunstalteten Plakaten erfuhr und ihm durch den Kopf zuckte: „Jetzt ist alles kaputt. Das war’s.“
Es gehört ganz sicher zu den Highlights des an Attraktionen wirklich nicht armen Wahlkampfs von Marius Hahn, wie er mit dieser Situation umging. Statt panischer Reaktionen blieb man besonnen. Die Wählerinitiative erstattete Anzeige, Hahn erklärte wie sehr er eine solche Aktion verabscheute, schlug seinem Kontrahenten mehrfach eine gemeinsame Presseerklärung vor, die dieser brüsk ablehnte – und weder Hahn noch seine Anhänger gingen auf die zum Teil ganz direkt erhobenen Vorwürfe der Urheberschaft der Plakatverunstaltung ein, die doch nur Hahn schaden konnte.
Das Resultat war bemerkenswert. Was ganz offensichtlich als großer Coup mit explosivem Charakter geplant war, wurde zu einem feuchten Knallfrosch. Es puffte und funkte ein, zweimal müde – und das war’s.
Eine letzte, verzweifelte Aktion mit einem Flugblatt seitens des Gegners kam noch, doch auch hier gelang dem Hahn-Team ein Konter, der die Gegenseite auf dem völlig falschen Fuß erwischte. Wie aus dem inneren Kreis des anderen Kandidaten zu hören war, hätte kein Mensch im Traum jemals daran gedacht, dass das Hahn-Lager es fertigbringen würde, noch am Samstag mit einem brillant formulierten Flugblatt zu kontern.
Den Wahltag läutete die Hahn-Truppe schließlich mit dem Verteilen von Tausenden von Frühstücksbrötchen ein und bildete damit den Abschluss eines Wahlkampfs, über den man sicher noch lange reden wird.
Er war schlicht in jeder Hinsicht überragend.
Für mich war es die überraschendste und am perfektesten durchgeführte Werbekampagne, die ich jemals verfolgt habe.
Hut ab vor Marius Hahn und den (dem?) Menschen, die/der diese Wahlkampfstrategie entwickelt und konsequent bis zum Ende durchgezogen haben/hat.
Doch am faszinierendsten ist für mich dabei, dass mit dieser Kampagne keinem einzigen Wähler Marius Hahn „verkauft“ wurde.
Es ist etwas völlig anderes passiert.
Es ist gelungen, die Menschen von Marius Hahn zu überzeugen.

Das Umfeld
Von den im Stadtparlament vertretenen Parteien und Gruppierungen hatte es die CDU theoretisch am leichtesten, da sie ihren eigenen Kandidaten nominierte. Während des Wahlkampfs fiel die CDU-Fraktion aber nicht besonders auf, bis auf einen Einzelnen, der eine gewisse Präsenz zeigte und sich vor allem durch Aggressivität auszeichnete.
Die SPD Limburg bekannte sich klar zu Marius Hahn und unterstützte dessen Wahlkampf finanziell und logistisch. Eine ganze Reihe von Parteimitgliedern war auch in der Wählerinitiative aktiv. Rege zeigten sich die Jusos in der SPD, die mehrere Veranstaltungen zur Wahl organisierten und durchführten.
Die FDP lud als erste beide Kandidaten zu einem gemeinsamen Auftritt ein. Nach ihrer Wahlempfehlung pro Hahn zeigte sich Marion Schardt-Sauer im Lauf der Zeit immer mehr öffentlich und wandelte sich von einer Moderatorin zu einer begeisterten und überzeugten Wahlkämpferin mit hoher Präsenz.
Durch den schon intern sehr umstrittenen Beschluss, Stanke zu unterstützen, hatten die Grünen mehr mit den Folgen dieser Empfehlung zu kämpfen, als mit dem zum Gegner erklärten Marius Hahn. Nach der öffentlichen Debatte über die Wahlempfehlung, griffen die Grünen nur in Person eines einzelnen Mandatsträgers noch einmal ein, der sich von den Gerüchten nicht freimachen konnte, er strebe höchstselbst das Amt des Ersten Stadtrats an. Über Teilnahme an Stanke-Wahlkampfveranstaltungen durch die Grünen ist nichts bekannt.
Die Freie Wählergemeinschaft zeigte sich auf die so bekannte Art in ihrer ganzen Verlässlichkeit und sprach sich pro Stanke aus, nachdem der Vorsitzende dem Kandidaten Marius Hahn noch fest zugesagt hatte, die FWG würde keine Empfehlung veröffentlichen. Nach dem kleinen Coup zog sich die FWG aber wieder vollständig aus dem Geschehen zurück.
Von einer Wahlempfehlung der BZL ist mir nichts bekannt.
Rein rechnerisch hätte demnach Michael Stanke die Wahl klar gewinnen müssen, wären alle Wähler den Parteien und Gruppierungen gefolgt, die sie in die Stadtverordnetenversammlung geschickt hatten.
Das Ergebnis war bekanntlich ein anderes und die Wahlempfehlungen hatten allem Anschein nach für die Kommunalwähler nicht einmal den Charakter eines freundschaftlichen Rates.
Wie sah es aber mit anderen Interessengruppen und auch einflussreichen Einzelnen aus, die zur Meinungsbildung innerhalb von Limburg bisweilen beitragen?
Der Nochbürgermeister griff in den Wahlkampf nicht direkt ein, zeigte sich auf keiner Wahlveranstaltung und sprach auch keine Empfehlung aus. Nominell könnte dies seinem Status als Wahlleiter geschuldet sein, den er kraft Amtes innehatte. Als solcher hatte er sich neutral zu verhalten.
Der NBM versuchte jedoch trotzdem massiv Einfluss zu nehmen. Er überließ gefühlte 90% aller öffentlichen Auftritte ab der Nominierung dem Ersten Stadtrat.
Damit nicht genug. Wie aus gut unterrichteten Kreisen zu erfahren ist, stellte er ganze Teile der öffentlichen Verwaltung in den Dienst des Wahlkampfs von Michael Stanke. Hinter vorgehaltener Hand beschwerten sich reihenweise Mitarbeiter der Verwaltung, dass sie nicht mehr zu ihrer normalen Arbeit kämen, weil sie „Wahlkampftermine für den Stanke“ machen müssten. Die gesamte Kreativität der Verwaltung wurde operationalisiert, öffentliche Auftritte des Ersten Stadtrats in Massen zu kreieren, über die dann die Pressestelle in Wort und Bild berichten musste.
Geradezu grotesk war die Situation, als der CDU-Kandidat bei einer Verlegung von weiteren „Stolpersteinen“ in städtischem Auftrag unterwegs war und dort auch der Kandidat Marius Hahn auftrat, der in seiner Eigenschaft als zu der Zeit amtierender Stadtverordnetenvorsteher anwesend war. Da es der Wahlwerbebauftragten wider Willen (?) unmöglich war, Stanke alleine auf einem Foto zu verewigen, knipste sie lediglich die Stolpersteine selbst – und unterschlug im Pressebericht Anwesenheit und Wortbeitrag von Hahn.
Es war ein offenes Geheimnis im Rathaus, dass dieses als die Wahlkampfzentrale für Stanke missbraucht wurde, nur schwenkten die betroffenen Mitarbeiter maximal die Fahne der Limburger Widerstandskämpfer: In der Tasche geballte Schwarze Faust auf schwarzem Grund.
Niemand wagte es, sich öffentlich zu beschweren.
Die Industrie- und Handelskammer wurde über die Stadt ebenfalls für den Wahlkampf operationalisiert. Um dem Kandidaten Hahn sein Lieblingsthema Hochschule wegzunehmen, wurde über die IHK eine Befragung von Mitgliedern zu einem Dualen Studium durchgeführt. Das Ergebnis jedoch wurde nie veröffentlicht.
Einen Gesprächstermin mit Marius Hahn, in dem er sein Programm und seine Ideen vorstellen wollte, lehnte die IHK ab, weil man sich „neutral verhalten“ wolle.
Derlei Berührungsängste hatten die Pallottiner und die Evangelische Gemeinde jedoch nicht, die sich gerne anhörten, was Marius Hahn für die Zukunft Limburgs plante.
Auch die Kolpingfamilie zeigte Interesse an der lokalen Politik und veranstaltete einen Gesprächsabend, zu dem beide Bewerber eingeladen waren.
Genauso hielt es die Bürgerinitiative gegen die Südumgehung.
Der Cityring lud Hahn und Stanke ebenfalls zu unterschiedlichen Terminen ein, an denen sie dem Vorstand Rede und Antwort standen. Der Cityring gab keine Empfehlung an seine Mitglieder heraus. Doch es war auffällig, dass der Vorsitzende in der Schlussphase des Wahlkampfs, als Marius Hahn die Nöte der Innenstadt zum Thema machte und Lösungen präsentierte, eine hohe Präsenz und Interesse zeigte und auf Veranstaltungen Hahns immer wieder das Wort ergriff und seine Darstellungen und Perspektiven unterstützte.
Der Altstadtkreis äußerte sich zur Bürgermeisterwahl offiziell nicht. Ein ehemaliger Vorsitzender war Mitglied der Wählerinitiative und fiel anfangs durch kontraproduktive Beiträge auf, zog sich dann aber zurück. Ein anderes, omnipräsentes Exvorstandsmitglied bot sich wiederholt der Initiative an, aber man verzichtete dankend auf seine (bezahlten) Dienste.
Überraschend war, dass die streng konservative Vereinigung, die von gewissen lokalen „Politikerinnen“ als Sekte mit großem Gefahrenpotential geoutet wurde, die Rotarier, den Kandidaten Marius Hahn zu einem ihrer Treffen einluden, um mit ihm über die Stadtpolitik und Perspektiven zu plaudern.
Von den örtlichen Unternehmen mischten sich zwei ganz konkret in den Wahlkampf ein.
Ein alteingesessenes Geschäft für Sport- und Outdoorbedarf spendierte dem Treiben eine humoristische Note und ließ eine großformatige Karikatur anfertigen, die Hahn als aktiven Wanderer mit vollem Rucksack und Stanke als staunenden kleinen Jungen neben Übervater NMB zeigte.
Auch der Vorstandvorsitzende einer lokalen Bau AG gab den Wahlkämpfer. In einer riesigen, privaten Anzeige versuchte er darzulegen, warum Limburg einfach nur großartig dastünde und er warnte vor Hahnschen Plänen und Verfahren. Diese Äußerung ließ er aber ganz schnell wieder verschwinden, als er erkennen musste, in welch eklatantem Widerspruch diese zu Aussagen stand, mit denen der von ihm geförderte Michael Stanke einen Last-Minute-Feldzug versuchte.
Insgesamt lässt sich über das Engagement von Limburger Institutionen und Vereinigungen sagen, dass sie sich am Anfang des Wahlkampfs heraushielten, offenbar weil sie der allgemeinen Stimmung folgten, dass Hahn sowieso keine Chance hätte und der den meisten genehme und bequeme Kandidat ohne Zutun gewinnen würde.
Als der Urnengang näher rückte und die Stimmung einen unerwarteten Umschwung nahm, wurden alle sehr vorsichtig. Fast niemand wollte eindeutig Stellung beziehen und es wurden in flotter Folge die Fühler in Richtung Hahn ausgestreckt, um erste Kontakte herzustellen. Denn es sich mit einem Mann zu verderben, der plötzlich als Bürgermeister für wenigstens die nächsten 6 Jahre ernsthaft zur Debatte stand, wollte keine Organisation riskieren.
Einzig die Institution, die von Gesetz wegen zur Neutralität verpflichtet war, hatte mal wieder die Zeichen der Zeit nicht erkannt. Wie ich aus sicherer Quelle erfuhr, traf sich eine große Runde von Abteilungsleitern der Stadtverwaltung am Vorabend der Wahl und stieß schon einmal mit einem Gläschen Sekt auf den neuen Bürgermeister an: Michael Stanke…

Dienstag, 9. Juni 2015

Die Lindenholzhäuser Affäre oder: Was sprach der Kandidat?

Es sind schon wieder einige Wochen vergangen, seitdem sich die Gemüter vor und besonders hinter den Kulissen wegen einer kleinen Pressemeldung erhitzten.
Die Angelegenheit ist schon fast in Vergessenheit geraten. Doch sie bekommt nun einen gewisse, pikante Note, denn bei dem "NNP-Forum" heute Abend in der Stadthalle (9.6.2015, 19:00 Uhr) sitzen sich mit Michael Stanke und dem Chefredakteur der NNP erstmals die beiden Hauptprotagonisten dieser Affäre direkt gegenüber.
Nach wie vor sind einige wesentliche Fragen nicht geklärt und keiner von beiden hat einen Versuch unternommen, weiter Licht ins Dunkel zu bringen.
Ob die Sache wohl heute Abend eine Rolle spielt? Man darf auf jeden Fall gespannt sein.
Was war eigentlich geschehen? Wie es sich für eine gute Geschichte gehört, fängt alles ganz harmlos an, nämlich mit einem Bericht in der NNP. Ein privat finanziertes, privat zu bauendes und später privat betriebenes Seniorenzentrum hatte den ersten Spatenstich. Es kamen und gruben einige Menschen, darunter der Erste Stadtrat. Über das Ereignis wurde von der NNP in zwei Spalten berichtet, wobei fast die Hälfte des Textes Repräsentanten der CDU vorbehalten war, die ihre Verdienste an der Unternehmung herausstellten. Michael Stanke wurde abgebildet, im Text vielfach erwähnt und seiner Rede wurden gleich mehrere Absätze gewidmet. Es war also ein Bericht, wie er in der Nassauischen Neuen Presse üblich ist.
In diesem Artikel vom 12. Mai stand, dass Stanke während seiner Rede angeführt habe, er hätte bei Hausbesuchen in Lindenholzhausen von Senioren erfahren, wie groß das Interesse an der neuen Wohnanlage sei. Bei Hausbesuchen, die er in seiner Eigenschaft als Bürgermeisterkandidat gemacht habe.
Das fiel einigen Lesern auf. Insbesondere stand dieses Verhalten im krassen Gegensatz zu den Behauptungen Michael Stankes, er würde Wahlkampf ausschließlich in seiner knapp bemessenen Freizeit führen und keinesfalls Dienstgeschäfte mit seinen persönlichen, politischen Ambitionen vermischen. Ein solcher Ausspruch und besonders die ausführliche Referenz auf seine Kandidatur sowie seine Art der Stimmenwerbung während eines Auftritts, der rein dienstliche Natur hatte (er war als Stellvertreter des Bürgermeisters vor Ort), waren mit diesem Ethos nicht in Einklang zu bringen.
Der DOM-ZOO widmete dem Vorgang einen Artikel, in dem einige Fragen gestellt wurden.
Falls Michael Stanke die betreffenden Äußerungen getätigt hat, wäre das sicher nicht gut. Nicht für ihn, nicht für sein aktuelles Amt, nicht für seine Bewerbung als Bürgermeister. Es wäre vielleicht ungeschickt, tollpatschig oder ein wenig frech. Möglicherweise auch nur ein Irrtum, auf welcher Veranstaltung er sich gerade befand.
Aber der Erste Spatenstich in Lindenholzhausen an sich war ganz bestimmt keine Politaffäre.
Zu der wurde er erst gemacht.
Durch das, was dann folgte.
Am 15. Mai erschien in der NNP ein Dementi unter der Überschrift „Korrektur“. Darin wurde berichtet, Stanke lege Wert darauf, dass er keineswegs das gesagt habe, was in der NNP berichtet wurde. Er hätte außerdem noch überhaupt keine Hausbesuche in Lindenholzhausen gemacht.
Diese „Korrektur“ wiederum nahm ich zum Anlass, meinen Artikel zu bedauern und besonders, dass ich die Integrität Michael Stankes bezweifelt hatte. Ich machte mir außerdem einige Gedanken bezüglich der Wahrhaftigkeit der Berichterstattung durch die NNP, die den Kandidaten überhaupt erst in den Verdacht gebracht hatte, er vermische pflichtwidrig Amt und Wahlkampf.
Seitdem ist nichts mehr wie es war.
Es brodelt gewaltig hinter den Kulissen und in sorgfältig verschlossenen Versammlungsräumen. Aus denen aber doch häppchenweise Informationen dringen. Wir sind ja in Limburg, der Stadt, die Diskretion aus dem Duden gestrichen hat.
Als Publizist habe ich natürlich nichts dagegen.
Die kleine Gemeinschaft der freien und abhängig beschäftigen Journalisten ist mehr als sauer. Natürlich auf den Dom-Zoo, der es wagte, den journalistischen Ethos der Nassauischen Neuen Presse und der dort Beschäftigten öffentlich in Frage zu stellen.
Die Operation „Shoot the Messenger“ ( = Kill den Boten) läuft auf Hochtouren und ich werde sehr direkt angefeindet. Mein Angebot an die betreffenden Angreifer, sie mögen sich doch öffentlich äußern, mir nachweisen, wann ich in welcher Weise die Unwahrheit gesagt habe, Stellung beziehen und für Klarheit sorgen, was denn nun wirklich geschehen ist, lehnen die Betreffenden leider ab.
Internes müsse und werde intern bleiben, heißt es kryptisch. Bzw. gar nicht kryptisch für den, der zwischen den Zeilen lesen kann und das Entschlüsseln geheimer Botschaften versteht.
Mir wurde in den privaten Mails, die mich erreichten, vorgeworfen, ich würde wegen „eines Wortes“ einen ungerechtfertigten Aufstand machen.
Dem ist nicht so.
Nach meinem Dafürhalten geht es sogar um viel mehr. Nimmt man alle frei verfügbaren Informationen zusammen, dann haben wir es hier mit einer Presseaffäre von erschreckenden Ausmaßen zu tun.
Es handelt sich nicht um „ein Wort“. Es geht um einen ganzen Absatz in einem Pressebericht einer nominell unparteiischen und unparteilichen Zeitung, der in der entscheidenden Zeit eines Bürgermeisterwahlkampfs erschien.
Ich werde versuchen, die Faktenlage und die Schlussfolgerungen aus den Möglichkeiten, die sich daraus ergeben, einmal darzulegen.
Dabei gibt es bezüglich der Tatsachen an sich genau zwei Optionen. Mehr nicht.
Option 1:
Michael Stanke hat sich in seiner Rede nicht so geäußert, wie es wiedergegeben wurde.
Dann existieren, soweit ich das überblicke, zwei Wege, wie das betreffende Zitat in den Bericht gelangt sein kann.
1.) Der Journalist, der den Artikel verfasst hat, hat Stanke die Worte in den Mund gelegt. Dies wäre eine journalistische Todsünde erster Ordnung. Etwas Übleres, als ein frei erfundenes Zitat zu veröffentlichen, kann sich ein Reporter kaum erlauben. Dabei spielt es überhaupt keine Rolle, ob er dies getan hat, um dem Betreffenden zu schaden, oder um ihm zu „helfen“. Diese Möglichkeit darf man nicht außer Acht lassen. Es könnte ja auch sein, dass der betreffende Schreiber den Ersten Stadtrat in seiner Kandidatur unterstützen wollte, indem er in dem Bericht dessen Ambitionen als zukünftiger Bürgermeister Raum gab, obwohl diese bei besagtem Ereignis gar nicht Thema waren. Das wäre aber Parteijournalismus der übelsten Sorte und würde etwas wiedergeben, das nicht stattgefunden hat: Es bliebe damit eine Fälschung.
2.) Der Journalist hat wahrheitsgemäß berichtet. Aber jemand, der den Artikel redigierte, sah sich veranlasst, auf genau die Art und Weise, wie oben beschrieben, die Bürgermeisterkandidateneigenschaft des Ersten Stadtrats nachträglich hineinzuarbeiten – und das Ganze dann als neutralen Artikel über ein harmloses Ereignis zu verkaufen. Ein solches Verfahren wäre genauso zu verurteilen und würde mit Nagelstiefeln auf jedem journalistischen Selbstverständnis herumtrampeln.
Hat Stanke den Spruch nicht getätigt, sind beide Möglichkeiten eine Katastrophe für die Nassauische Neue Presse. Dann hätte eigentlich die kleine „Klarstellung“ nicht gereicht, sondern der Kandidat hätte jeden Anspruch auf eine förmliche Gegendarstellung an gleicher Stelle und im gleichen Umfang gehabt.
Option 2:
Michael Stanke hat die zitierte Äußerung beim Ersten Spatenstich getätigt.
In diesem Fall hätte die NNP die Korrektur einer Meldung vorgenommen, die RICHTIG war. Sie hätte versucht, eine Äußerung, die gefallen war, durch eine unwahre Behauptung rückwirkend zu neutralisieren.
Da es für eine Zeitung absolut keinen Grund gibt, eine Tatsachenbehauptung, die sie belegen kann, zu dementieren, wäre dies ein Fall von unverhohlener, direkter Einflussnahme auf die redaktionelle Unabhängigkeit. Die Wahrheit würde in diesem Fall bedenkenlos parteipolitischem Kalkül und direkter Propaganda geopfert. Beteiligte Journalisten, die nichts als ihren Job gemacht hatten, würden hemmungslos diskreditiert und gezwungen, die Wahrheit, die sie berichtet hatten, nachträglich zur Lüge zu verfälschen.
Mit Freiheit der Presse hätte all das nichts zu tun. Es wäre ein Beleg dafür, wie eng verzahnt eine politische Partei und die Chefredaktion der Nassauischen Neuen Presse sind. Dann hätte die CDU einen Durchgriff bis in die Spitze der Redaktion und die Macht selbst zu bestimmen, was und vor allem wie berichtet wird.
Bis zum Ministerium für Wahrheit aus Orwells 1984 wäre es wirklich nicht mehr weit.
Welche der beiden Optionen nun die richtige ist, kann man mit den Informationen, die vorliegen, nicht entscheiden.
Nur eins ist klar: Die NNP und ihre Chefredaktion stehen im Mittelpunkt dieser ganzen Affäre.
Entweder wird dort wenigstens teilweise journalistisch erschreckend dilettantische Arbeit geleistet.
Oder es handelt sich bei der NNP um ein parteipolitisch geführtes und agierendes Propagandablatt.
Die NNP hat übrigens in ihrer "Korrektur" lediglich referiert, worauf der Erste Stadtrat hinweist. Sie hat NICHTS davon kommentiert, nirgends Stellung bezogen und hat im Rahmen der "Korrektur" nichts von dem vorhergegangenen Bericht zurückgenommen. Die NNP hat sich nicht für eine falsche Darstellung entschuldigt. Sie hat keine Gegendarstellung gedruckt.
Lediglich im Online-Archiv wurde der Artikel geändert und mit einem Disclaimer versehen: Anmerkung der Redaktion: in einer früheren Fassung des Artkels stand eine falsch wiedergegebene Aussage von Michael Stanke.

Montag, 1. Juni 2015

Ein Bürgerbüro ist kein Gebäude. Ein Bürgerbüro ist ein Prinzip.



Irgendwann verriet sich der NBM (Nochbürgermeister) dann doch. Seitdem das Schreckenswort „Bürgerbüro“ in Limburg das erste Mal geflüstert wurde, wehrte sich Martin R. bellend und beißend gegen die Einrichtung eines solchen. Alle Limburger seien mit ihrer perfekten Verwaltung glücklich, hieß es immer von seiner Seite. So etwas „braucht man nicht“.
Als nun im zuständigen Ausschuss von einigen Seiten hartnäckig nachgefragt wurde, warum jetzt auf einmal eine solche Vorlage käme, wenn der Bürgermeister doch immer dagegen gewesen sei, konnte der NBM dann doch nicht aus seiner Haut. „Ich bin immer noch dagegen“ knurrte er dem Vernehmen nach.
Die eine Gewählte, die unlängst im Rahmen der Inthronisierung des neuen Stadtverordnetenvorstehers die Messlatte für politisches Kabarett auf Weltrekordhöhe gelegt hatte, sprach daraufhin sehr laut das aus, was diejenigen dachten, die nicht Parteianhänger oder unlängst assoziiertes, grünes Stimmenbeschaffungspotential sind: „Also ist das alles nur Wahlkampf.“
Hier Büro, Ihr Bürger?
Der Gedanke kann einem in der Tat kommen, wenn man den mit glühend heißer Nadel gestrickten „Bericht an den Ausschuss“ liest, der zum Thema vom Magistrat vorgelegt wurde. Kaum hatte der Bürgermeisterkandidat einer Wählerinitiative, Marius Hahn, sich die Einrichtung eines Bürgerbüros auf die Fahne geschrieben, gab es praktisch über Nacht diesen Stapel Magistratspapier.
Wenn man jedoch genau hinschaut, wird eins vollkommen klar. Wer auch immer diese Vorlage erarbeitet hat, hat nichts, aber auch GAR NICHTS verstanden.
Der Auftrag der Stadtverordneten war, die Einrichtung eines Bürgerbüros zu planen und darüber hinaus die Schaffung eines barrierefreien Zugangs zum „Neubau“ des Rathauses.
Für die Verfasser des Berichts war dies jedoch der Startschuss zu einer Orgie im Häuslebauen.
Zu sonst gar nichts.
Worum geht es aber nun wirklich bei einem Bürgerbüro?
Es ist unbestritten, dass ein Gemeinwesen wie eine Stadt eine Verwaltung benötigt. Doch das Ziel, dafür zu sorgen, dass alle Bürger ihren Pflichten nachkommen und alle ihre Rechte wahrnehmen können, wurde bei den meisten Verwaltungen völlig aus den Augen verloren.
Ganz egal, welche Vereinfachungen die technische Entwicklung der letzten Jahrzehnte theoretisch gebracht hat, Verwaltungsvorgänge sind immer nur komplizierter, undurchschaubarer und zeitaufwändiger geworden. Jeder Versuch einer Reform resultierte in weiteren Planstellen und neuen, sinnbefreiten Abläufen.
Der Stand der Dinge ist, dass der Mensch für die Verwaltung da ist – und nicht umgekehrt. Dabei ist der Bürger als Steuerzahler der Arbeitgeber der Verwaltungsmitarbeiter. Das Ziel müsste sein, jedem das Leben zu erleichtern, nicht, es ihm nach Kräften schwer zu machen.
Zerfaserte, dezentrale Behördenstrukturen mit einer hochentwickelten Kultur der Nichtzuständigkeit, sorgen dafür, dass jeder Bürger mehrere Urlaubstage im Jahr für „Behördengänge“ benötigt, wertvolle Lebenszeit auf Fluren sitzend verbringt – um oft genug unverrichteter Dinge frustriert wieder abzuziehen.
Bürger-Drucker
Das kann so nicht weiter gehen, dachten sich in den 90er Jahren einige progressive Politiker und machten sich wieder einmal dran, städtische Verwaltungen vom Kopf auf die Füße zu stellen.
Diesmal jedoch mit einem neuen Ansatz.
Sie definierten die Verwaltungen kurzerhand zu Dienstleistungsbetrieben und die Bürger nicht zu Geiseln und Opfern von Bürokraten, sondern zu Kunden um, die nach Kräften und bestmöglich zu bedienen sind.
Das Prinzip funktionierte, nicht zuletzt zur Überraschung derer, die es initiiert hatten. Die meisten großen Städte haben inzwischen Bürgerbüros, in denen die Menschen zentral eine Stelle finden, an der ihnen in Verwaltungsangelegenheiten geholfen wird.
Nach und nach ziehen kleinere Städte nach, so die jeweiligen Machthaber sich nicht mit aller Kraft dagegen wehren, dass ihnen ein Instrument der Machtpolitik genommen wird. Bürger, die sich fürchten, das Rathaus zu betreten und zusammenzucken, wenn sie ein Brief mit dem Stadtwappen aus dem Kasten holen, sind leichter unter Kontrolle zu halten und trauen sich nicht, verbriefte Rechte einzufordern oder behördlichen Entscheidungen zu widersprechen, seien sie auch noch so rechtswidrig oder absurd oder beides.
Der Weg zu einem funktionierenden Bürgerbüro führt über drei Schritte.
Zunächst ist ein Konzept erforderlich, bürokratische Abläufe so rasch und bürgerfreundlich wie möglich zu gestalten. Die Struktur der Behörden muss so umgebaut werden, dass bei eindeutigen Zuständigkeiten Vorgänge von Sachbearbeitern verantwortlich zum Besten des Kunden Bürger umgehend bearbeitet werden.
Bei einer Verwaltung, deren Struktur von oben herab so organisiert ist, dass jede Arbeit möglichst zeitintensiv ist und Entscheidungen die zugunsten der Betroffenen ausfallen müssen, verschleppt und mit Hindernissen ohne Ende blockiert werden, muss eine grundsätzliche Neuorientierung erfolgen.
Bürger-Rechner
Erst nachdem die Struktur der reogransierten Behörde und der Abläufe festgelegt ist, folgt der zweite, vorentscheidende Schritt.
Ein Bürgerbüro braucht das richtige Personal.
In Limburg will sicher ein Großteil der Verwaltungsangestellten dem Bürger zu Diensten sein. Doch die überkommenen, autoritären Machtstrukturen lassen das nicht zu und degradieren qualifizierte Menschen in mittleren Positionen zu frustrierten Stempeldrückern und Ablehnern.
Es gilt nun, diejenigen in dem reichen Personalfundus zu finden, die für die jeweiligen Aufgaben am besten geeignet und motiviert sind, selbstverantwortlich im Sinne der Bürger tätig zu werden.
Gerade in den leitenden Positionen ist es unumgänglich, dass dabei einige heilige und sicher diverse unheilige Kühe geopfert werden. Da jedoch sowieso eine ganze Reihe von Neubesetzungen bei Amtsleitern anstehen, kann diese große Chance dazu genutzt werden, gleich Menschen zu werben, die dem neuen Konzept positiv gegenüberstehen und es aktiv mit gestalten und umsetzen wollen.
Wenn dieser elementare Teil des Umbaus geschafft ist, wenn Strukturen, Abläufe und insbesondere das Personal für ein funktionierendes Bürgerbüro organisiert sind, dann und erst DANN kann man sich Gedanken darüber machen, wo man ein solches am besten zentral einrichtet. Die räumlichen und baulichen Voraussetzungen kann man naturgegeben erst dann ermitteln, wenn man wirklich weiß, wie viele Menschen mit welchem Publikumsverkehr was zu erledigen haben.
In Limburg ist das anders.
Hier hört man „Büro“ und alles ruft im Chor: „BAUEN“.
Hier besorgt man die Schindeln, bevor man weiß, wie der Grundriss des Hauses aussehen wird, wie hoch das Gebäude wird und welche Form das Dach bekommt.
Der Magistratsbericht ist ein weiteres Zeugnis dieser Limburger Manie. Erstaunlich ist nur, dass kein Fußgängerkreisel im Foyer des Rathauses geplant ist.
Mehr als 600.000,-- € sind schon im Geiste ausgegeben – und es gibt nicht einmal den Ansatz eines Konzeptes für die Funktion des Unternehmens.
Bürger-Fax
Man macht eben mal irgendwas. Aber es reicht nicht, an der Tür das Schild „Stadtverwaltung“ durch „Bürgerbüro“ zu ersetzen und die müllsackverteilende Dauertelefonistin aus ihrem schusssischeren Glaskasten heraus zu zerren und an einen seitlich versteckten Tresen zu setzen.
Ein Bürgerbüro ist kein Schreckensbau der 70er, an dem ein paar Wände eingerissen und andere hochgezogen werden.
Ein Bürgerbüro ist das Zeichen eines Wandels in der Einstellung der Verwaltung den Menschen gegenüber.
Doch wenn die Stadtoberen den Bürger nach wir vor nur als Untertan und Verwaltungsobjekt sehen, wird sich nichts ändern.
Ganz gleich, wie man das Kind nennt.
Aus wahltaktischen Gründen nimmt man in Limburg nun also ein Bürgerbüro in Angriff.
Wohin die Reise gehen soll, weiß keiner der Verantwortlichen. Trotzdem laufen sie mal los. Irgendwohin. Denn dann hat man wenigstens schon ein ordentliches Stück Weg hinter sich gebracht.
Ob man dabei in eine völlig falsche Richtung stolpert, interessiert keinen.